Villes sans Bidonvilles - Städte ohne Slums















Die Bezeichnung Bidonville hat ihren Ursprung in den 20er Jahren in den Kolonien in West-Afrika. Der Begriff kommt aus dem französischen und bedeutet wörtlich übersetzt Blechbarackenviertel. Die heutige Bezeichnung ist informelle Siedlung oder Slum. 
Meist sind es verwahrloste, überbevölkerte Selbstbau-Viertel, die provisorisch und illegal auf fremdem Land errichtet werden. Dies kann in der Stadt oder auch am Stadtrand geschehen. Innerhalb der informellen Siedlungen gibt es (zumindest anfangs) keine öffentlichen oder staatlichen Einrichtungen, geteerte Straßen, Wasser- oder Stromversorgung. Meist werden die Slums von Armen und ländlichen Zuwanderern bewohnt. Landflucht, Verstädterung und die enorme Bevölkerungsexplosion sind Gründe für das Entstehen von Bidonvilles.


Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, die lange Zeit ignoriert und toleriert wurde, hat Marokko nach den Unruhen 1981, deren Ursprung unter anderem in den prekären Lebensverhältnissen eines Großteils der Bevölkerung lag, ein staatliches Umsiedlungsprogramm ins Leben gerufenen, dessen Ziel es war die Städte von ihren Bidonvilles zu befreien. Die Anfänge fand dieses Projekt unter der Herrschaft Hassan II. Dieser beauftragte den französischen Architekten Pinseau, einen Masterplan für Casablanca zu entwickeln, um die urbane Entwicklung besser kontrollieren zu können. Casablanca diente als Modellstadt. Es wurden mehrere administrative Neuerungen eingeführt und die erste Umsiedlung der Bewohner des vergleichbar großen Bidonvilles Ben M´Sik eingeleitet. Die erfolgreichen Neuerungen wurden schließlich auch auf andere Städte wie Fez, Rabat-Salé oder Marrakesch übertragen.

Einen weiteren Wendepunkt in der Stadtplanungspolitik Marokkos stellten die Bombenanschläge 2003 in Casablanca dar, deren Attentäter aus den nahegelegenen Barackenvierteln stammten. König Mohammed VI ordnete daraufhin die Beseitigung aller Bidonvilles bis 2012 an. Zu diesem Zeitpunkt lebten ca. 1.5 Millionen Menschen in solchen.

Diese beiden Beispiele machen deutlich, dass Momente der Gewalt  zu Wendepunkten in der Stadtplanungspolitik Marokkos führen. 
Komplette Stadtteile werden entworfen, die schließlich die riesigen informellen Siedlungen ersetzen sollen. Den Bewohnern soll so anstelle ihrer Baracke eine Sozialwohnung zu Verfügung gestellt werden. Bezahlbar werden diese Wohnungen durch Subventionierung und Kredite.
Obwohl durch das „Villes sans Bidonvilles“-Programm und vorhergegangene Bemühungen beutende Fortschritte in der Beseitigung von Slums gemacht wurden und bis Ende 2013, 47 von ursprünglich 85 festgelegten Städten als Städte ohne Barackensiedlungen erklärt werden konnten, gibt es allein in Casablanca noch über 500 Stück.

Eine wichtige Frage ist was für allgemeine Auswirkungen das „Ville sans Bidonville“-Programm hat und ob dessen Umsetzung im Hinblick auf die ständig wachsende Stadtbevölkerung realisierbar ist.
Ein großes Problem stellt hier vor allem das fehlende Bauland dar. Die Stadtfläche Casablancas ist bereits so dicht besiedelt, dass nur in den Randgebieten der Stadt die entsprechenden Flächen für die Wohnbauprojekte gefunden werden. Daraus resultieren jedoch Probleme wie fehlende Integration und Anbindung an den Rest der Stadt.
Außerdem sind viele der neuen Baustrukturen wenig an die Bedürfnisse der Bewohner angepasst. Betonblöcke werden entworfen ohne Bezug zum Außenraum und ohne individuelle Anpassungsmöglichkeiten.
Das Problem des Slums darf allerdings nicht allein als Wohnraumproblem dargestellt werden, dass berechnet und gelöst werden kann. Slums sind nicht integriert ins Stadtgefüge. Nach den Anschlägen in Casablanca wurde herausgefunden das mache der Jugendlichen noch nie im Zentrum waren. Auch durch die neuen Sozialbausiedlungen mit fließend Wasser und Strom wird sich dieser Umstand nicht ändern. Muss vielleicht mehr gemacht werden als das? Sozialarbeit und eine Aufklärung der Bevölkerung ist nötig. Es sollte im Vorfeld eine Bürgerbeteiligung stattfinden, denn die Bewohner müssen integriert und begleitet werden. Es ist auch wichtig Baustrukturen zu erstellen die sowohl baulich als auch sozial an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst sind.
Auf der Anderen Seite oder besser zur gleichen Zeit sollte die Landflucht an sich behandelt werden.  Es ist wichtig ein besseres Gleichgewicht zwischen Land und Stadt herzustellen. Auch die ländlichen Regionen müssen attraktiv werden und Pull-Faktoren entwickeln. Menschen sollen sich bewusst dafür entscheiden auf dem Land zu leben und in ihrem Heimatort zu bleiben. Das Land muss eine Perspektive auf eine hoffnungsvolle Zukunft eröffnen sonst werden die Städte explodieren.
Es muss ein Prozess eingeleitet werden, ansonsten kann das „Villes sans Bidonvilles“-Projekt nur zu einer temporären Verlagerung von Problemen und nicht zu einer dauerhaften Lösung werden.























Abb. 1-3: Blick vom Leuchtturm 
Quelle: Eigene Aufnahmen


Exkurs: Die Siedlung Quinta Monroy in Chile

Die oben beschriebenen Vorgänge des Villes-sans-Bidonvilles-Programms sind vergleichbar mit denen der Kolonialarchitektur. Wieder werden den Bewohnern neue Lebensräume zur Verfügung gestellt, ohne auf ihre Bedürfnisse und Lebensformen einzugehen. Das In-Besitz-Nehmen von Land und Bebauung ist ein Merkmal der traditionell-orientalischen Stadt, der informellen Siedlungen, wird jedoch nicht berücksichtigt.

Wie mit der Slumbevölkerung, und im Sinne derer, gebaut werden kann, beschäftigt sich der chilenische Architekt Alejandro Aravena.
Wissend um den eintretenden Aneignungsprozess, initiiert er diesen bewusst. Mit seinen Bauten für die Siedlung Quinta Monroy zeigt er einen Weg auf, mit beschränkten finanziellen Mitteln ausbaufähige, wertstabile Eigenheime zu generieren.

ELEMENTAL nennt er dieses Wohnprojekt, in welchem die Regierung den Bewohnern von Slums, nur „halbfertige“ Wohnungen zu Verfügung stellt. Geplant und ausgeführt werden die kostenintensiven Teile wie Rohbau, Wasser- und Stromversorgung, außerdem Baugrund und Infrastruktur. Erweiterbar sind die zur Verfügung stehenden Eigentumswohnungen dann in Eigenarbeit von den bestehenden zweimal 30qm auf über das Doppelte an Fläche. Ausnahmslos wird diese Chance in kürzester Zeit wahrgenommen.
Baugrund wird dort erworben, wo die Bewohner auch schon davor gelebt haben, um das soziale Umfeld zu stützen. Auch wurden die Anwohner über verschiedene Workshops und Beteiligungsformen in den Planungsprozess miteinbezogen. Die neuen Gebäude selber formen sich zu einer Einheit und bilden innerhalb mehrere Höfe aus.
Für den Erwerb müssen die Familien zu Beginn 300 US-Dollar bezahlen, und natürlich die Kosten für den Ausbau, die bereits getätigten Ausgaben, bis zum Bezug, belaufen sich auf ca. 7200 US-Dollar und werden vom Staat übernommen.
Die erste Siedlung hat inzwischen das Dreifache an Marktwert gewonnen, wie zu Baubeginn. Dies hat einen gemütsstabilisierenden Effekt auf die Bewohner. Sie wissen sich im Besitz einer wertvollen Wohnung. Der soziale Zusammenhalt wird so gestärkt und Verantwortung für die Umgebung kommt auf.
Mittlerweile wurden von den Architekten mehrere vergleichbare Projekte ins Leben gerufen.





























Abb. 4-5: Rohbau und Eigenleistung 
Quelle: Alejandro Aravena

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